Mein Juist
Veröffentlicht von Gordina@brightbooks.de in Naturecke · 4 September 2024
Tags: MeinJuist, Geschichte, Natur, Urlaub, Sandra, Lüpkes
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Geschafft! Die Koffer sind verstaut, und man betritt die Fähre, eine Last fällt im wahrsten Sinne des Wortes ab. Ich murmele dem Fährpersonal ein "Moin" zu, das macht man hier so, in Ostfriesland. Endlich darf ich wieder Moin sagen!
Das vertraute Motorengeräusch ertönt, und die Fähre setzt sich in Bewegung. Die Skyline von Juist kommt langsam näher, obwohl die Fahrt dauert. Zum Gück bin ich über die "verpasste Foto-Phase" hinweg. Erst wenn wir ganz nahe an der Insel sind, komme ich doch nicht umhin, wenigstens ein Foto zu machen. "Schau mal, da ist das Kurhotel wieder, der Wasserturm, das Haus des Gastes und die evangelische Kirche! Und das Loog!"
Beruhigt und gelassen schlendern wir vom Schiff und hin zu den Wägen, um unser Gepäck zu holen. Ob nun mit oder ohne "Karren" führt der Weg leicht bergab und schubst einen förmlich in den Ortskern. Vor uns und hinter uns heitere Reisende, die ihren Unterkünften zustreben, um uns herum ungeduldige Insulaner, Personal und Handwerker mit Fahrrädern und Karren, die es stets eilig haben.
Am meisten haben mich bei unserem ersten Urlaub auf Juist Strand, Wellen und im Wasser glänzende Muscheln fasziniert. Stundenlang konnte ich in den anrollenden Wellen gen Hundestrand und darüber hinaus bis zur Wilhelmshöhe laufen und dabei meinen Gedanken nachhängen. Dabei schmiedete ich Pläne, dachte über Ideen nach und stellte ich mich für die Zeit nach Juist neu ein. Schon bald brauchte ich einen Block und Kugelschreiber von Poppinga, um in der kurzem Zeit im Strandkorb, denn "Strandlopen" lag mir eher, einen Entwurf für meinen ersten Inselkrimi "Töwercard ins Jenseits" zu schreiben. Dem folgte ein zweiter Krimi, "Der Töwerkunst-Coup", Kurzgeschichten und Gedichte. Nun soll noch ein dritter Krimi verfasst werden. Ich interessierte mich für die Geschichte der Insel und begann, alte Bücher über Juist antiquarisch zu erwerben.
Am Strand verlegte ich mich, zusammen mit anderen Feriengästen, vom Muschelsammeln auf das Müllsammeln. Die außergewöhnlichsten Funde waren eine Flasche russischer Wodka, mit kyrillischer Schrift, die ich Dank eines Jahres Russisch an der Uni noch entziffern konnte, eine Flasche eines bekannten britischen Spülmittels, das Etikett klebte noch daran und ein winziger schwarzer Adressanhänger, den ein kleiner Hund gerade in den Nordseewellen verloren hatte. Und der Strandkorbvermieter Wäcken vom Herrenstrand wusste, nach Sichtung der Adresse, zu wem der Hund gehörte. Ein schnöderer Fund war Abklebeband von Malerarbeiten auf einem Schiff. Eine ganze Zeit lang lieferte die Nordsee eine Plastiktüte zum Müllsammeln noch dazu. Ich lernte, dass Algen der Nordsee nicht nur Schaum produzieren konnten, was ich vorher schon wusste, sondern dass es auch so aussehen konnte als hätte ein Container tonnenweise Toilettenpapier verloren und dieses würde nun an den Strand gewaschen. Es war aber ein natürlicher, ebenfals algenbedingter, Prozess.
Als nächstes konzentrierte ich mich auf blaue und organgene Fischerschnüre, die ich auseinanderpulte, um zuhause aus ihnen mittels Kumihimo Armbänder zu fertigen. Aus Schnüren vom Haushaltsgeschäft Behrends gestaltete ich mir in einem Workshop auf Juist ein weiteres Armband, passend mit Ankerverschluss. In einem zweiten Workshop fertigte ich zum ersten Mal in meinem Leben Glasperlen. Und abends beim Spaziergang schaute man in die Fenster der Händler und überlegte, was man noch kaufen könnte und was man schon hat. Die Schirmmütze mit der Aufschrift Juist war Ehrensache. Daran erkennt man auch gleich, dass wir nicht nach Norderney wollen. Der zweite Anlaufpunkt war stets Behrends.
Meine Ausbildung zur Kräuterpädagogin führte nun dazu, dass ich mir auf der Insel für mein Frühstücksmixgetränk Kräuter und Beeren pflückte, aber immer nur wenig. Zwei oder drei Spitzwegerich- oder Scharfgarbenblätter, vier Sanddornbeeren oder eine Hagebutte. Mir fiel auf, dass sich die immunstärkende Vogelmiere, die bei uns in jedem Blumenkasten wächst, auf Juist nicht zu finden ist.
Als Feriengast hat man sich eine Liste an Aktivitäten vorgenommen, die in der Kürze der Zeit zu absolvieren sind. Dazu gehören bestimmte Orte auf Juist, die man besuchen will, oder bestimmte Restaurants. Leider macht einem manchmal das Wetter einen Strich durch die Rechnung, sowohl in die eine als auch die andere Richtung, und die Zeit vergeht so schnell, dass man nie alles schafft, was man sich vorgenommen hatte. Aber okay, dann eben beim nächsten Mal. Oder beim übernächsten.
Unaufhaltsam nähert sich der letzte Tag und dann folgt der Absturz. Es wird richtig ungemütlich. Der krasse Kontrast zum Beginn des Urlaubs, wenn man die Insel betritt. Noch ein letztes Mal an den Strand. Dann unter die Dusche, man wäscht sich Juist förmlich aus den Haaren und von seinem Körper ab, zusammen mit der Sonnencreme. Eine letzte Runde durch den Ort, um sich von den Händlern zu verabschieden, bei denen man seit Jahren einkauft. Diese nehmen es gelassen, sie müssen ja nicht von der Insel. Wir müssen es!
Übernahmen wir die Reinigung der Ferienwohnung, so beherrschte ich das Tiefensaugen des Teppichs, das Putzen in und auf den Schränken bis in die hintersten Ecken, die Reinigung von Schrankfronten und Griffen, Kühlschrank, Bad und das Polieren von Armaturen und Spiegeln. Allerdings kam mein Eifer bei unserem ehemaligen Vermieter nicht gut an. "Unsere Wohnungen sind immer sauber", wies er mich zurecht.
Aber auch wenn der Vermieter Reinigungskräfte in die Appartments schickt, möchte man gegenüber seinen Juister Gastgebern nicht gerne den Eindruck erwecken, man würde beim Frühstück übermäßig krümeln, schwarze Socken würden überall auf dem Teppich Flusen hinterlassen, man habe den halben Strand nach Hause gebracht und beim Zähneputzen Zahnpasta auf die Fliesen im Bad gekleckert. Also werden die größten Fauxpas doch beseitigt und der ehemalige Spüllappen, nunmehr degradiert, über den Putzeimer gelegt.
Dann packen. Am Abreisetag ist das Gepäck viel schwerer als auf der Hinreise. Wie das nur kommt? Die Bücher aus der Buchhandlung Koch, Whisky von Poppinga, Mitbringsel für die liebe Nachbarin, die sich solange um die Post gekümmert hat, Souvenirs aus dem neuen Haushaltsladen Schrauben & Gedöns, die Marmelade vom Sanddornstübchen oder das Bier, was es zuhause doch nicht so gibt, Duschgel und Shampoo und womöglich Kleidung, die man "dort" gekauft hat. Etwas Sand und ein paar Muscheln, für den Fall, dass ich im Winter etwas juistbezogenes basteln möchte. Ich trage mit mit dem Gedanken, aus Sand und Muschelstückchen einen echten Juist-Ring zu fertigen. Jetzt habe ich Material für einhundert Ringe. Gar kein Wunder also. Und als Dreingabe darf man nun sein Gepäck auf dem Weg zum Hafen den kleinen Hügel hochziehen. Wie gemein! Die Biscaya-Melodie über sich ergehen lassen und Juist in der Ferne verschwinden sehen. Nase putzen! Verdammt, warum kann ich nicht einmal wie eine Erwachsene von der Insel gehen! Darauf schleunigst eine Tote Tante*!
Zuhause angekommen, wirkt unsere Wohnung wie ein Außenposten von Juist. In fast jedem Zimmer sind die Themen Juist und Meer präsent. Im Wohnzimmer hängt ein Seestück von "Karsten", das wir vor vielen Jahren bei Mindermann erworben haben. Bei wichtigen Fußballereignissen hisse ich zur Gaudi der Nachbarn auf dem Balkon die Juist-Flagge. Allein, das Meer fehlt natürlich und wurde in Köln durch den Rhein ersetzt.
Befindet man sich nicht auf Juist, und meistens ist das so, bleibt man heutzutage doch eng mit seiner Lieblingsinsel verbunden, und zwar über die sozialen Netzwerke. Insulaner posten ihre Fotos, Feriengäste ebenso, und erzählen, was sich ereignet. Wir sorgen uns mit, wenn eine Sturmflut droht, nehmen Anteil an den Geschehnissen und Debatten auf der Insel, bangen, wenn sich auf See ein Unfall ereignet hat und trauern, wenn eine Person, die wir so häufig getroffen hatten, stirbt. Der eigene Kummer wird, auf die Insel getragen, getröstet, indem der Wind durch einen durch die Trübsal einfach davonbläst. Auf diese Weise bleiben die Juister und ihre Gäste das gesamte Jahr über wie eine Schicksalsgemeinschaft miteinander verbunden. Und ich blieb in Gedanken gleich ein ganzes Jahr auf Juist, ohne Ferienwohnung oder Kurtaxe zu bezahlen, als ich nämlich meinen ersten Juistkrimi schrieb.
*Tote Tante: Schokolade mit Sahne und Brandwein oder Rum.
Mein Video über die Insel Juist: https://www.youtube.com/watch?v=3-xMpfLshfc